7. April 2019
Foto: Francisco Proner

Es ist ein Jahr her, seit ich zu Unrecht verhaftet, angeklagt und wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, das es nie gab. Jeder Tag, den ich hier verbracht habe, hat meine Empörung erhöht, aber ich vertraue auf ein faires Urteil, bei dem die Wahrheit siegen wird. Ich kann mit der guten Gewissheit meiner Unschuld schlafen. Ich bezweifle, dass diejenigen so gut schlafen, die mich durch eine gerichtlichen Farce verurteilt haben.

Was mich jedoch am meisten beunruhigt, ist das, was mit Brasilien passiert und das Leiden unseres Volkes. Um mir ein Sonderurteil auferlegen zu können, haben sie die Regeln der Gesetze und der Verfassung gebrochen und damit die Demokratie geschwächt. Die Menschenrechte und die Bürgerrechte werden entzogen, während gleichzeitig die Löhne gekürzt werden, die Beschäftigung prekär ist und die Lebenshaltungskosten hoch sind. Sie geben die nationale Souveränität, unseren Reichtum, unsere Unternehmen und sogar unser Territorium auf, um ausländische Interessen zu befriedigen.

Heute ist klar, dass meine Verurteilung Teil eine politische Strategie nach der Wiederwahl von Präsidentin Dilma Rousseff im Jahr 2014 war. Nach den Wahlen zum vierten Mal hintereinander besiegt, wählte die Opposition den Weg des Staatsstreichs, um wieder an die Macht zu gelangen und gaben sich dabei der Sehnsucht nach Autorität der herrschenden Klassen Brasiliens hin.

Der Putsch durch Amtsenthebung ohne strafbare Bergründung wurde gegen ein sozial integrierendes Entwicklungsmodell geführt, das in unserem Land seit 2003 aufgebaut hat. In 12 Jahren haben wir 20 Millionen Arbeitsplätze geschaffen, 32 Millionen Menschen aus der Armut geholt und das BIP verfünffacht. Wir haben die Universitäten für Millionen ausgegrenzter Menschen zugänglich gemacht. Wir haben den Hunger besiegt.

Dieses Modell war und ist für eine privilegierte und voreingenommene Schicht der Gesellschaft unerträglich. Es verletzte mächtige wirtschaftliche Interessen außerhalb des Landes. Während die Tiefseereserven die Begierde ausländischer Ölfirmen weckte, begannen brasilianische Firmen mit traditionellen Exporteuren aus anderen Ländern zu konkurrieren.

Die Amtsenthebung brachte den Neoliberalismus in einer noch radikaleren Version zurück. Zu diesem Zweck sabotierten sie die Bemühungen der Dilma-Regierung, die Wirtschaftskrise zu bewältigen und ihre eigenen Fehler zu korrigieren. Sie haben das Land in einen steuerlichen Zusammenbruch und eine anhaltende Rezession gestürzt. Sie versprachen, dass es ausreichen würde, um die PT aus der Regierung zu treiben, damit die Probleme des Landes beendet wären.

Die Leute stellten bald fest, dass sie getäuscht wurden. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Sozialprogramme wurden abgebaut, Schulen und Krankenhäuser haben staatliche Zuwendungen verloren. Eine von der Petrobras verhängte Selbstmordpolitik machte das Kochgas unerschwinglich für die Armen und führte zum Streik der Lastwagenfahrer. Sie wollen die Rente für ältere Menschen und Landarbeiter stornieren.

In Karawanen im ganzen Land sah ich in den Augen unserer Leute die Hoffnung und den Wunsch, dieses Modell wieder aufzunehmen, das Ungleichheiten zu korrigieren begann und denen Gelegenheiten gab, die nie welche hatten. Bereits 2018 wiesen Umfragen darauf hin, dass ich die Wahlen in der ersten Runde gewinnen würde.

Meine Kandidatur musste um jeden Preis verhindert werden. Die Aktion ´Lava Jato´, das Vorgehen gegen die Korruptionsaffäre bei Petrobras, was die Kulisse des Amtsenthebungsputsches darstellte, überflog die Verteidigungsfristen und -rechte, um mich vor den Wahlen zu verurteilen. Sie hatten meine Gespräche, die Telefone meiner Anwälte und sogar die Präsidentin der Republik illegal abgehört. Ich war das Ziel von einer illegaler Zwangsabführung, einer echten Entführung. Sie durchsuchten mein Haus, drehten meine Matratze um, nahmen Handys und sogar Tablets meiner Enkelkinder mit.

Sie fanden nichts, was mich belasten könnte: kein Gerede über Bösewichte, keine Geldsäcke, keine ausländischen Konten. Trotzdem wurde ich in Rekordzeit von Sergio Moro und der TRF-4 wegen „unbestimmter Handlungen“ verurteilt, ohne eine Verbindung zwischen der Wohnung, die niemals meine war, und einem angeblichen Geldschwund bei der Petrobras zu finden. Der Oberste Gerichtshof lehnte unter dem Druck der Medien, des Marktes und sogar des Militärs meinen fairen Antrag auf Habeas Corpus ab, wie Jair Bolsonaro, der größte Nutznießer dieser Verfolgung, kürzlich bestätigte.

Meine Kandidatur wurde gegen das Wahlrecht, die Rechtsprechung und einen Beschluss des UN-Menschenrechtsausschusses, meine politischen Rechte zu garantieren, verboten. Und doch hatte unser Kandidat Fernando Haddad eine beachtliche Anzahl an Stimmen und wurde nur von Bolsonaros Lügenmaschinerie in den sozialen Netzwerken besiegt, die von schwarzen Kassen und – wenn man der Presse glaubt – sogar mit ausländischem Geld finanziert wurden.

Die renommiertesten Anwälte Brasiliens und anderer Länder finden meine Verurteilung absurd und verweisen auf Sergio Moros Vorurteile, die in der Praxis bestätigt wurden, als er akzeptierte, der Justizminister des Präsidenten zu werden, den er mit meiner Verurteilung mitwählte. Ich möchte nur, dass sie einen Beweise gegen mich vorlegen.

Warum fürchten Sie sich so vor der Freilassung von Lula, wenn Sie das Ziel, meine Wahl zu verhindern, bereits erreicht haben und nichts für diese Verhaftung spricht? Tatsächlich fürchten sie die Volksorganisation, die sich mit unserem Projekt in diesem Land identifiziert. Sie befürchten, die Willkür anerkennen zu müssen, die sie begangen haben, um einen unfähigen Präsidenten zu wählen, der uns mit Schande erfüllt.

Sie wissen, dass meine Freilassung ein wichtiger Teil der Wiederaufnahme der Demokratie in Brasilien ist. Aber sie können mit dem demokratischen Prozess nicht leben.

Luiz Inácio Lula da Silva, Ehemaliger Präsident der Republik (2003-2010).

Folha de S. Paulo |  Übersetzt von Elisabeth Schober, Free LULA – Committee Austria.